Die Glocke der großen Pause klingelt. Wir stehen auf und begrüßen den Lehrer. 10:25, wir gehen die Treppen runter und bewegen uns auf dem sogenannten ,,grünen Flur’’, wo sich das Büro des Schulleiters befindet. Wir klopfen an seine Tür; ,,Fangen wir an?’’ Wie ihr vermutlich schon alle wisst, haben wir seit diesen Jahr einen neuen Schulleiter, er hat alle Klassen am ersten Schultag begrüßt, wie er selbst erzählt, er ist erstaunt, dass die Kinder der zweiten Klasse nichts von seiner Existenz wissen. Genau deswegen haben wir, zwei Schülerinnen der zwölften Klasse, den Schulleiter gebeten, mit ihm ein Interview führen zu können. Er stimmte zu. Er will uns als erstes etwas über seiner Ankunft in Genua erzählen: ,,Ich kam am 1. August an, und freute mich, wie wenig Autos in Genua waren. Ich musste in den ersten Tagen noch in einer Ferienwohnung sein, da ich noch nicht in meine Wohnung konnte. Ich bin dann gleich in die Schule gekommen und habe versucht die ersten Dingen zu organisieren, wie zum Beispiel meine Anmeldung bei der Stadt, dann die Anmeldung beim ,,Servizio elettrico’’ einen Parkschein usw. Und ich war sehr froh, dass mein Vermieter mir geholfen hat, denn ich glaube, ich hätte Schwierigkeiten gehabt das alleine zu bewältigen. Mir gefiel die Stadt sofort…’’
Wie lange lehren Sie schon und welche Fächer?
,,Seit 1985 lehre ich Latein, Griechisch, Geschichte und manchmal auch Philosophie.’’
Was hat Sie dazu geführt, Lehrer zu werden?
,,Ich hatte selbst einige sehr gute Lehrer und die tragen jetzt die Schuld daran, vor allem mein Latein- und mein Griechisch-Lehrer, dass ich die Fächer studiert habe. Er hat mich immer so begeistert. Neulich habe ich mit einem Kollegen darüber gesprochen: Ich bin überzeugt, dass die Lehrer im positiven sowie im negativen Sinn eine ganz große Bedeutung für die Schüler und ihre Zukunft haben.’’
Was von Ihrer Arbeit mögen Sie, was hassen Sie?
,,Ich unterrichte immer sehr gerne, das ist was mir am meisten Freude macht, wenn ich gestresst in den Unterricht gehe, dann komme ich meistens ganz fröhlich raus. Die Arbeit mit den Schülern gefällt mir sehr. Die bürokratischen Dingen mag ich nicht. Sobald ich mit Menschen zu tun habe, dann vergeht die Zeit schnell und ich freue mich… Und Korrigieren mache ich auch nicht so gern…’’ Schüler mögen den Teil des Unterrichts noch weniger…
Wann ist bei Ihnen dieser Wunsch entstanden, Lehrer zu werden?
,,Eben diese Lehrer, die ich an der Schule hatte, haben mich auf den Weg gesetzt. Ich hatte im Studium schon den Zweifel, ob das der richtige Studiengang fur mich wäre und die Anfänge waren nicht so einfach, weil Schüler einen Referendar nicht unbedingt als gleichwertigen Lehrer akzeptieren, zumindest nicht in Deutschland. Ich hatte manche Schwierigkeiten, mich durchzusetzen, aber im Laufe der Zeit ging es immer besser und es hat mir immer mehr Freude gemacht, zu lehren. Je älter ich werde, desto mehr liebe ich diesen Beruf.’’
Was für ein Typ waren Sie, als Sie an der Schule waren?
,,Ich war immer fleißig, das muss ich sagen. In der Mittelstufe habe ich auch gestört, das weiß ich noch, ich habe ein Papierflieger geworfen und der kam diesem armen Deutschlehrer, der sich überhaupt nicht durchsetzen konnte, direkt auf die Nase. Das war mir so peinlich! Ich war einer, der sich immer als Klassensprecher engagiert hat, ich war immer Klassensprecher, bis zum Schluss.’’
Woran erinnern Sie sich mit Freude, wenn Sie an Ihrer Schulzeit denken?
,, Ich erinnere mich an meine Schulzeit meistens mit großer Freude. Ich fand es schade, dass wir nicht so wie ihr einen schlechten Unterricht in Musik hatten. Das fehlt mir, das spüre ich immer wieder und ich freue mich, wenn ich jetzt höre, dass eine Praktikantin hier im Musikunterricht Oper singt. Das finde ich genial. Man darf es nicht unterschätzen, Fächer wie Musik und Kunstgeschichte sind auch richtig wichtig.’’
Was war Ihr Traumjob, als sie ein Kind waren?
,,Als Kind? Na ja, da hat man die verschiedenen Phasen von Feuerwehrmann über Polizist usw… Dann eine Zeitlang wollte ich sehr ernsthaft Wirtschaft studieren. Wir hatten damals nicht diese Informationen über das Studium, da war nichts. Man hat es sich irgendwo selbst erarbeitet müssen, auch nicht aus dem Internet, sondern aus irgendwelchen Büchern. Der Zugang zu Informationen, der war einfach viel schlechter. Ihr habt den Vorteil, dass ihr eigentlich alles wissen könnt über die Studiengänge usw., was die Entscheidung nicht leichter macht. Aber man wird heute trotzdem viel mehr geführt.’’
Welche waren Ihre Lieblingsband und Ihr Lieblingssong als Sie jünger waren?
,,Ich gehöre noch zur Beatles- und Rolling Stones- Generation, die mochte ich beide sehr und vor allem die Stones, die waren für mich schon die Größten.’’
Hatten Sie jemals den Wunsch, eine unterschiedliche Karriere einzuschlagen?
,,Als heutiger Sicht hätte ich mir vorstellen können in der Tat Wirtschaft zu studieren weil ich eigentlich Management auch mag. Es macht mir auch Freude, mit den Kollegen zusammen zu überlegen, was man an dieser guten Schule noch verbessern kann; eine Idee zu entwickeln und daran zusammen zu arbeiten.’’
Wären Sie jetzt in der Lage, uns und den Schülern den ersten Ratschlag zu geben worüber Sie denken können?
,,Jetzt gerade, so für euch? Herauszufinden, wofür man brennt, wofür man begeistert ist und das machen. Ich glaube eure Generation hat die Chance das wirklich zu erreichen, auch wenn es in Italien immer noch eine Krise gibt, habt ihr ganz ganz große Chancen. Die große Schwierigkeit ist für euch eben herauszufinden, was das eigene ,,Ding’’ ist.’’
Könnten Sie sich in drei Worte beschreiben?
Lange Pause und wir warten… ,,Drei Worte?’’ Eine noch längere Pause und wir warten… ,,Es kommt, es kommt…Ich glaube humorvoll, fleißig (manchmal zu fleißig) ,also gewissenhaft und verlässlich.’’
Was würden Sie Gott fragen, wenn Sie könnten?
,,Als erstes die alte Frage, die Theodizee-Frage; die Frage warum viele Dinge passieren… die Brücke beispielsweise usw.’’
Wem aus der Vergangenheit würden Sie einen Brief schicken, wenn Sie es könnten?
,,Ich könnte ja Briefe zum Beispiel an Frau Merkel schreiben, aber ich würde gerne einem meiner LieblingsLatein- oder Griechisch- Autoren ein Brief schicken, zum Beispiel Homer.’’
In was für einer Zeit der Geschichte würden Sie gerne leben?
,,Ich lebe sehr gerne heute: auch wenn unheimlich Vieles an dieser Zeiten kritisiert wird, finde ich, dass die Gegenwart trotzdem die Beste aller Zeiten ist. Wenn ich mir vorstelle ich wäre 1900 geboren, wäre ich wahrscheinlich in den ersten Weltkrieg geschickt worden; wenn ich es überlebt hätte, wäre ich wahrscheinlich in den zweiten Weltkrieg Geschickt worden; wenn ich auch dieses überlebt hätte und Pech gehabt hätte, wäre ich in der DDR großgeworden und hätte dann, 1990 vielleicht noch erlebt, dass das alles, was ich mir so vorgestellt hatte, gar nicht richtig war.’’
In welchen Ländern haben Sie bis jetzt unterrichtet?
,,In Ägypten, Deutschland und, naja, Italian.’’
Gibt es eine Reise, die Ihnen etwas, Ihrer Meinung nach, sehr Wichtiges beigebracht hat?
,,Also die Erfahrungen in Ägypten sind für mich sehr wichtig gewesen, weil das eben so total anders ist; da hab ich gelernt, dass man auf den Menschen schauen muss und nicht auf ein Kopftuch usw. Ich verbrachte drei Jahren in Ägypten.’’
Auch wenn Sie nicht seit langem in Genua sind, was denken Sie von der Stadt, vor allem in Berücksichtigung von dem was den Einsturz der Brücke angeht?
,,Ich glaube, dass die Genuesen tief erschüttert sind, weil sie selbst die Stadt als ‘La Superba’ bezeichnen und eigentlich auch stolz auf diese Brücke waren. Ich las gestern, dass ein Architekt, der schon viele Preise gewonnen hat, einen Entwurf gemacht hat für eine neue Brücke und ich hoffe, dass daraus etwas entsteht, das diese Wunde heilt. Als wir auf dem Kirchplatz für den ‘minuto di silenzio’ standen, hab ich gedacht, dass es Personen gibt in der Verwaltung, die irgendwo die Mitverantwortung tragen für das was passiert ist, indem sie es vielleicht nicht richtig eingeschätzt haben oder indem sie vielleicht nachlässig waren, das finde ich ganz furchtbar. Mit einer solchen Schuld zu leben, fände ich sehr sehr hart.’’
Hätten Sie vielleicht ein Ratschlag für unsere Politiker?
‘’Ich habe mich auch in Ägypten daran gewohnt, als Gast mich völlig von einem Urteil über die Politik zurückzuhalten, selbst im Unterricht; eine Beurteilung steht mir als Gast nicht zu. Ich habe natürlich Vieles über die italienische Politik gelesen, da ist mir auch Vieles fremd, ich verstehe es nicht.’’
Wenn wir schon über Politik reden , was denken Sie von der Schulpolitik dieser Schule, zum Beispiel, was denken Sie von den Schulsamstag?
,, Ich komme von einer Schule, wo wir jeden Samstag Unterricht hatten, das lag aber Teils daran, dass es ein Internat war. Ich glaube, es ist bei einer solchen Stundenzahl, wie ihr sie habt, eine sinnvolle Sache, den Samstag ab und zu in der Schule zu verbringen.’’
Denken Sie, dass Smartphones in den Schulen als Lernhilfsmittel eingebracht werden sollten?
,,Ich finde: So wie es hier ist, klappt es. Also das Handy zunächst ausgeschaltet in der Tasche während des Unterrichts zu haben, aber ich finde auch, dass es für den Unterricht gebraucht werden könnte. Eine der großen Diskussionen, die wir gerade führen, auch in der Gesamtkonferenz, ist eben, wo wir mit dem Medien-Einsatz im Unterricht hinwollen. Wir haben diese Lims die vor fünf Jahre super modern waren, heute würde man sich schon etwas anderes anschaffen; es gibt auch die Vorstellung ‘bring your own device’; oder die Vorstellung einer Schule im Silicon Valley, den berühmtesten Computerzentrum der Welt, wo Medien komplett verboten sind. Die hat ein großen Zulauf.’’
Sind Sie aber nicht der Meinung, Medien hätten die Art und Weise des Lehrens und des Lernens komplett revolutioniert?
,,Ich mache mir eher noch mehr Sorgen um das Zusammenleben der Menschen. Wenn ich ein Junges Paar im Restaurant sehe, wo jeder vor seinem Handy sitzt und sie sich nicht ansprechen, dann mache ich mir Sorgen über diese Tatsache. Etwas, was zum Beispiel ganz übel ist und was wir als Schule kaum kontrollieren können, sind Mobbing Geschichten, schon allein die Tatsache, einen aus der WhatsApp Gruppe auszuschließen ist Mobbing. Es ist ganz brutal und ungeheuer schwer zu kontrollieren.’’
Welche ist, Ihrer Meinung nach, die wichtigste Mission der Schule?
,,Ich finde die drei Mottos eigentlich super. Also ‘Persönlichkeit stärken’, das finde ich ganz toll, dass ihr wirklich selbstbewusst werdet; dann ‘Sich der Welt öffnen’, das ist eure Zukunft, die Zukunft ist international; und ‘Die Begegnung leben’, Kommunikationsfähigkeit bleibt etwas ganz ganz Wichtiges.’’
Kann man als Lehrer auch von den eigenen Schüler lernen?
,,Ich hab erst gestern den Satz gelesen: ’Ein guter Lehrer muss immer ein Schüler bleiben’. Wenn man glaubt, man habe als Lehrer ausgelernt, irrt man sich. Man lernt permanent. Auch momentan lerne ich ständig…Ich lerne ganz andere Schüler kennen, die Schule ist kleiner, alle kennen sich, die Schüler sind lebendiger, die Schüler sind gebildet…’’
Was wünschen Sie den Eltern und den Schülern der Deutschen Schule Genua für diesen Schuljahr?
,,Ich wünsche euch, dass ihr an diese Schule mit Freude geht und ich hoffe, dass wir einen Weg für ein gutes Zusammenarbeiten finden.
Jetzt ist es offiziell, Willkommen Herr Müller!
Rebecca Ruggiu Ginevra Bianchi